I wrote a column for the current music issue of Berlin-based Mitteschön Magazine about my experiences as a DJ, here it is - in German
Kill The DJ
In Berlin ist es mittlerweile inflationär, sich als DJ zu bezeichnen sobald man mehr als einmal in der Stammkneipe um die Ecke aufgelegt hat.
Viele träumen von einer großen Karriere, davon vor Tausenden von Menschen den Bass zu droppen oder wollen einfach gratis saufen, Drogen nehmen und Groupies abschleppen.
Dabei geht es primär um etwas anderes:
Sich intensiv mit Musik auseinanderzusetzen, Menschen damit zu unterhalten und natürlich auch ein bisschen zu manipulieren. Das ist manchmal harte Arbeit, trotz Alkohol und Groupies oder vielleicht auch gerade deswegen…
Als ich angefangen habe aufzulegen, gab es einfach noch nicht so viele von uns. Das war 2003 in München. Ich war ein Indie-Mädchen und Superstar-DJs die mir geläufig waren, gab es nur im Techno-Bereich, Sven Väth und so. Mich verschlug die Neugierde hinters DJ-Pult, der Drang Menschen zu unterhalten und die Liebe zur Musik. Wenn ich zurückblicke auf diese letzten 10 Jahre, zieht sich meine DJ-Tätigkeit wie ein roter Faden durch mein junges Leben. Die Entwicklung meiner technischen Fähigkeiten, meines musikalischen Geschmacks und das, was ich über Menschen und ihr Feierverhalten gelernt habe.
Technisch bin ich bis heute kein Meister meines Fachs, das gebe ich offen zu. Klar kann ich mit Plattenspielern und CD-Playern ohne BpM-Anzeige vertretbare Übergänge mixen, aber ich war nie ambitioniert genug stundenlang zuhause an den Turntables zu üben bzw. mir erstmal zwei Turntables in die Bude zu stellen.
Am Anfang meiner Laufbahn haben mir zwei schlaue, erfahrene DJs jeweils einen wertvollen Tipp mit auf den Weg gegeben. Einer sagte, seine Mixkenntnisse bestünden nur aus Tricks mangelnde Mixfähigkeiten zu vertuschen, diese aber habe er perfektioniert. Der andere sprach: „Übergänge sind überbewertet, entscheidend ist am Ende welches Lied du spielst!“
Auf dieser Grundlage (und glauben sie mir, ich tiefstaple auf hohem Niveau) baute ich also auf.
Aus dem Rock- und Indie-Gitarren-Kindergarten arbeitete ich mich über die Jahre vor zur Electro-Highschool, mittlerweile fällt es mir immer schwerer Genre-Grenzen zu ziehen (Was legst du so auf?), von 60ies Soul, Disco Tunes, Italo, altem Detroit House über neuen Minimal, 1990er Jahre HipHop zu aktueller Musik ist alles möglich. Am selben Abend. Das ist ja gerade das Schöne, man nimmt das Publikum mit auf die Reise und wenn sie erst mal betrunken sind, haben sie sowieso vergessen auf welches Boot sie am Anfang des Abends gestiegen sind.
Ich könnte nun unzählige Anekdoten erzählen, von sexistische Tontechnikern, die dir erstmal das Mischpult erklären, weil du eine Frau bist oder Taxifahrern, die dich für eine Prostituierte halten, männlichen Groupies, die dir ihre Nummer und anderes zustecken aber ich will versuchen mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
(Tatsächlich gibt es auf Facebook eine geheime Gruppe unter dem Namen Dumme Fragen an den DJ mit über 100 Mitgliedern, dort kotzen wir uns regelmässig aus, eine Art Online-Gruppentherapie. Aber dazu ein andermal…)
Die intensivsten Abende sind die, wenn ich richtig lange auflege. Alleine 8 Stunden, das sind 480 Minuten. Bei einer durchschnittlichen Songlänge von 4 Minuten sind das 120 einzelne Songs. 120 Mal überlege ich was als nächstes passiert, Auswahlfaktoren gibt es viele. Mal nach Genre vorgehen, danach was sich gut mixen lässt, einen Gästewunsch einbauen (wenn er cool ist, spricht nichts dagegen) oder einfach nur pure Lust auf das Lied. Ich kenne einige DJs, die Buch führen über ihre Playlists oder die Sets aufnehmen, ich bevorzuge es wenn sich die verschwommene Erinnerung an ein Set später anfühlt wie eine surreale Achterbahnfahrt mit vielen Loopings, auch wenn ich mich nicht mehr an jeden einzelnen erinnern kann. Mit zunehmender Routine lernt man auch betrunken aufzulegen,wenn man kaum mehr stehen kann bleiben ja die Regler zum Festhalten. In den letzten Jahren habe ich meinen DJ-Alkoholverbrauch allerdings deutlich gesenkt, Nachteil ist dann aber, dass die lallenden Gäste einem mehr auf die Nerven gehen.
Eine gute Kondition ist Pflicht. Als ich noch in Wien gelebt habe, gab es den Rekordmonat April 2007. Da habe ich von 30 Tagen 15 Abende aufgelegt. Auch wenn es im Schnitt vielleicht nur 3 Stunden pro Gig waren, käme man so auf 675 Songs a 4 Minuten.
Wer so viel auflegt, hat oft zuhause ein übergroßes Bedürfnis nach Stille.
Es gab Phasen, da habe ich neuerworbene Platten das erste Mal im Club angehört.
Aber wer Musik liebt, wird ihrer nicht überdrüssig.
Das Bezauberndste ist, dass sie die Fähigkeit besitzt uns in alle nur erdenklichen Stimmungen zu versetzen. Wir fühlen uns cool, verrucht, sophisticated, albern, wild, schön, stark, verliebt, geliebt, melancholisch, alt, jung, weise, rebellisch, sexy, euphorisch!
Es ist weit nach Mitternacht. In den letzten Stunden habe ich alle im Raum Anwesenden dazu gebracht das Tanzbein zu schwingen. Den Kopfhörer am Ohr wähle ich den nächsten Track, grinse schon innerlich und freue mich über meine Wahl. Die Zeit des vorherigen Liedes ist fast abgelaufen, die Sekunden auf dem Display des CD-Players zählen den Countdown, die letzte Minute, 30 Sekunden, ich weiss was jetzt kommt, habe es schon hundert Mal erlebt. Nippe noch einmal an meinem Drink, ich kenne meine Abläufe im Schlaf, weiss ob ich noch genug Zeit haben werde die angefangene Zigarette vor dem Übergang fertig zu rauchen, noch ein Zug, noch ein Schluck…
Eine Hand am Regler, die andere am Play-Knopf, nur noch Sekunden bis das Publikum das nächste Lied erkennen wird, volle Konzentration, jetzt bloss nicht zu früh oder zu spät einen der Knöpfe betätigen. Timing. Dann. Begeisterte Blicke, Freudenschreie, abstrakt nach oben gerissene Hände, die im Takt wedeln. Ich singe mit. Jedes Wort. Verhexe die ausrastende, schwitzende Meute mit meiner penetrant guten Laune, verstreue Euphorie und werfe mich in Pose, paniere sie noch schnell routiniert mit einer Ladung Konfetti, dann bin ich schon wieder beim nächsten Schritt, der Hit nach dem Hit. Nie Angst davor haben Hits zu früh raus zuballern, es gibt mehr als genug Hits auf dieser Welt. Man muss sie nur kennen und dabei haben. Und genau das macht einen guten DJ aus.
Danke! Gut geschrieben!