Kochen mit Nagel
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Polenta-Pizza mit Gemüse
- 300 gr Maisgrieß für Polenta (z.B. Minuten-Polenta von Rapunzel)
- 800 ml Wasser
- etwas Gemüsebrühe-Pulver
- 4 große Champignons
- 1 mittelgroße Zucchini
- 1 kleine Fenchelknolle
- 100 gr grüne Bohnen
- 100 gr Räucher-Tofu
- 200 gr veganer Mozarella
- Olivenöl
- Muskatnuss
- Pfeffer
- Salz
- dazu: Salat, z.B. Kräutersalat mit klassischer Vinaigrette
- vegan
- glutenfree
Dieser Beitrag entstand letzten Sommer für ein Projekt, das dann leider doch nicht zustande gekommen ist.
Ich fand es zu schade ihn in der Schublade verstauben zu lassen…
Kommenden Donnerstag, den 22.5.14, gibt es übrigens eine bebilderte Lesung mit Nagel in Berlin
Alle Fotos: Copyright Ava Pivot
Heute koche ich mit Nagel. Thorsten Nagelschmidt, wie er mit bürgerlichem Namen heisst, wurde als Sänger der Band Muff Potter bekannt, hat sich aber auch als Buchautor (Wo die wilden Maden graben/ Was kostet die Welt) und Grafiker einen Namen gemacht. Nach der Auflösung von Muff Potter im Jahr 2009 ist er nun seit 2012 mit der Nagel-Band unterwegs.
Nachdem Nagel mir verraten hat, dass er sich nach seiner kulinarischen Nationalität am Ehesten als Italiener fühlt, werden wir heute eine Polenta-Pizza mit mediterranem Gemüse zubereiten – eine leckere Symbiose zweier beliebter südländischer Gerichte und genau das Richtige für diesen mit grauen Wolken verhangenen Herbsttag. Zur besten Mittagszeit öffne ich meinem Gast die Tür, er ist mit der Vespa gekommen und kriegt erst einmal einen Kaffee, um sich aufzuwärmen.
Schon beim Gemüse waschen verrät er mir, dass er fürs selber Kochen eigentlich zu ungeduldig ist und lieber auswärts speist: „Wenn ich doch mal koche, dann gibt es Pasta. Allerdings aus Faulheitsgründen gerne mit Pesto aus dem Glas. Wenn ich richtig in Kochlaune bin, schmeiße ich noch ein paar Pinienkerne in die Pfanne und hobele ein bisschen Parmesan“. Ich bin verwundert, schliesslich hat er bereits zwei Bücher geschrieben, eine Tätigkeit, die mir wie ein wahrer Gedulds-Triathlon erscheint im Gegensatz zur Zubereitung einer Kürbiscremesuppe. Aber gut, heute machen wir alles selbst. Während ich eifrig die Polenta anrühre, die uns später als Pizzaboden dienen wird, schnippelt Nagel das Gemüse. Seine Arme sind stark tätowiert und als wir beginnen uns über diese bunten Bilder zu unterhalten, erzählt er mir erstmal, dass er ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Thema Tätowierungen hat. Könnte er die Uhr noch mal zurückdrehen, würden seine Arme heute wohl ganz anders aussehen. Es war ganz klar das Ausbrechen-wollen aus der Bürgerlichkeit der westfälischen Kleinstadt Rheine, das bunte Spuren hinterlassen hat, unter denen sich auch viele musikalische Reminiszenzen finden. So findet sich da ein tanzender Reigen von Skeletten ums rechte Handgelenk, wie ihn die US-amerikanische Rockband The Grateful Dead verwendeten, mit einem kleinen aber feinen Unterschied zum Original: Bei Nagel treten sich die Knochenmänner gegenseitig in den Hintern. Dann gibt es dort in der Nähe noch ein Song-Zitat der kalifornischen Band Jawbreaker :„Survival never goes out of style“. „Das war für mich und Muff Potter ein großer Einfluss, wir haben die Zeile auch für den Titelsong unserer VON WEGEN-Platte geborgt. Danach hatte der Sänger eine Band namens Jets to Brazil. Das Teufelchen vom Cover deren dritter LP habe ich auch tätowiert“, und zeigt gleich noch mal auf seinen linken Arm, wo sich das trommelnde Männchen vom Cover der 1980er Jahre Pop-Combo Bronski Beat breit macht. “Run away, turn away, run away, turn away, run away …” stimmt er an, auch dieses Zitat hat es in einen seiner neueren Songs der Band Nagel geschafft.
Der Polenta-Boden wandert in den Ofen, wo er etwas vortrocknen soll, ich frage meinen Gast nach seinem kuriosesten kulinarischen Erlebnis und er erzählt von einer mit Cannabis veredelten „Happy Pizza“, die er vor ein paar Wochen im kambodschanischen Phnom Penh bestellte. „Das war ein Horrortrip. Gras ist absolut nicht meine drug of choice. Ob die Weed-Pizza jetzt zu den Klassikern der asiatischen Küche gehört, sei auch mal dahin gestellt…“. Wir sprechen über exotische Gewürze und ich zeige ihm ein paar Highlights aus meinem Gewürzregal wie etwa den fruchtigen Indian Long Pepper und das schwefelige Kala Namak Salz, das sich hervorragend eignet um vegane Gerichte nach Ei schmecken zu lassen, dann gehen wir auf den Balkon um frische Zitronenverbene für den Kräutersalat zu ernten, den es als Beilage geben wird. Nagel erzählt aus seiner Kindheit, dass Pfannkuchen mit Apfelmus sein absolutes Lieblingsessen waren und natürlich alles von der Pommesbude. Exotisch ging es im Hause Nagelschmidt weniger zu, so kam es, dass er sich erst mit Anfang Zwanzig das erste Mal einer Avocado gegenüber sah, heute liebt er die mit vielen Nährstoffen zu Unrecht als Fettbombe verpönte Frucht über alles.
Nachdem das Gemüse in der Pfanne angeröstet und auf dem Polenta-Boden verteilt wurde, muss das Gericht final für 10 Minuten in den Ofen und wir kommen noch einmal auf das Tattoo-Thema zu sprechen. Obwohl er sich viele Motive heute nicht mehr stechen lassen würde, bereut er die Tattoos nicht. Erst letztes Jahr brachte er von einem Trip nach New Orleans eine Schlange mit, deren Symbolik er wie folgt erklärt: „Die habe ich mir spontan und in akuter Verliebtheit in diese Stadt stechen lassen. Die Schlange hat die Form des Mississippi, wie er sich um und durch New Orleans schlängelt. Der Mississippi ist für mich seit Huckleberry Finn ein extrem sehnsuchtsbeladenes Symbol. Drunter steht „Defend New Orleans“, das ist eine Gruppe die sich nach Katrina dafür eingesetzt hat, dass die Stadt nicht wie geplant in weiten Teilen plattgemacht und zu einem Las Vegas des Südens verwandelt wird.“
Der Salat ist gewaschen, unser Essen ist fast fertig, dafür, dass Nagel sich für zu ungeduldig zum Kochen hält, hat er verdammt gut durchgehalten und mich mit seinen tausend Geschichten hervorragend unterhalten. Einen so vielseitig interessierten und talentierten Gast, der so charmant Zucchinis schneidet, kann man sich nur wünschen. Wir machen uns an den Verzehr unseres Werkes und trotz anfänglicher Skepsis („Ich hab nicht so viel Erfahrung mit Polenta“) schmeckt es Nagel und er nimmt gleich noch Nachschlag.
Als Abschluss gönnt er sich noch eine Verdauungszigarette auf dem Balkon und sieht dabei ein bisschen aus wie eines seiner Motive aus der „Raucher“-Serie, einer Reihe limitierter Linoldrucke, die er in den letzten Jahren erfolgreich in mehreren Städten ausgestellt hat. Nagel liebt den Genuss und vielleicht muss man ihn ab und zu einfach zum Kochen überreden, frei nach dem Motto: „Indulgence never goes out of style!“. Das stammt übrigens von mir.
Wohl bekomm’s!
Polenta-Pizza mit Gemüse
Zubereitung:
Das Wasser in einem mittelgroßen Topf erhitzen, wenn es kocht, etwas Gemüsebrühe-Pulver und die Polenta mit einem Schneebesen zügig einrühren. Etwa 10 Minuten auf niedrigster Stufe quellen lassen. Einen Schuss Olivenöl und etwas geriebene Muskatnuss unterrühren und bei Bedarf etwas salzen.
Mithilfe eines Teigschabers, der immer wieder in ein Glas mit Wasser getunkt wird (verhindert das Kleben!), auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech streichen. Im vorgeheizten Backofen bei 150 ° Grad 15 Minuten trocknen lassen.
In der Zwischenzeit Gemüse und Räucher-Tofu schneiden. Bohnen und Fenchel in feine Streifen, die Zucchini und Champignons in Scheiben und Tofu in kleine Würfel. In einer tiefen Pfanne etwas Öl erhitzen und Tofuwürfel, Bohnen und Fenchel einige Minuten knusprig anbraten, in der Zwischenzeit Polenta aus dem Ofen nehmen. Die Zucchini und Champignons zum Gemüse geben. 2-4 Minuten weiter dünsten, dann etwas Wasser aufgießen, gerade so viel, dass die Gemüsemischung leicht bedeckt ist. 2-3 weitere Minuten weiter köcheln lassen, salzen, pfeffern und auf dem Polentaboden verteilen. Die (vegane) Mozzarella darüber streuen und bei 190 ° Grad 10 Minuten fertig backen. Mit Salat servieren, Guten Appetit – Happa Happa!